Wie die Arbeit als Concept Artist bei Overwatch aussieht
Anfangs erwähnt Concept Artist Daryl Tan nicht einmal das Wort „Kunst“, wenn er seine Arbeit beschreibt. „Ich bin ein Verkäufer von Ideen“, sagt er.
Und das sind auch alle anderen Concept Artists im Team von Overwatch. Es ist ihre Aufgabe, viele Leute – innerhalb und außerhalb von Blizzard – für ihre Ideen zu begeistern.
Wenn Spieler kreativer Arbeit begegnen, müssen sie überzeugt werden, ihren Unglauben zu überwinden. Um Menschen in eine andere Welt eintauchen zu lassen, müssen Künstler glaubwürdige Details kreieren und dafür sorgen, dass ihre Arbeit im Entwicklungsprozess ihre Essenz beibehält. Und so sorgt das Overwatch-Team – bewaffnet mit Photoshop und einem Talent für 2D-Illustrationen – für die Umsetzung.
Charaktere und Waffen
Senior Concept Artist Qiu Fang fing 2016 bei Blizzard an und erhielt schnell den Auftrag, an den Talon-Einheiten zu arbeiten, die Blackwatch in der Archiv-Mission von Overwatch: Vergeltung aufhalten sollten. Diese Einheiten waren zwar nicht die Stars der Show – diese Ehre gebührt immer den Helden der Spieler –, doch sie mussten sich gegen die schillernde und ikonische Besetzung von Overwatch behaupten. Qiu wollte sie zu etwas Besonderem machen, auch wenn ihre „Aufgabe“ im Spiel meist darin bestand, niedergemäht zu werden.
„Für meinen Werdegang zum Charakter Concept Artist hat es eine große Rolle gespielt, dass ich als Kind Spiele mit zentralen Charakteren gespielt habe. Vom ersten Tag an war es mein Ziel, einen Helden zu kreieren“, sagt Qiu, der später das Konzept von Overwatchs 31. Helden Sigma entwarf. Dieser Ehrgeiz kam zum Vorschein, als er seine erste Reihe von Talon-Kämpfern wie „Minihelden“ behandelte.
Während der Ideenentwicklung (die Phase, in der Experimente und Überarbeitungen der Spielinhalte stattfinden, die noch in der Entwicklung sind) arbeitete Fang mit Game Designern und Autoren des Overwatch-Teams zusammen, um ihre Vision zum Gameplay und Talons Hintergrundgeschichte nachvollziehen zu können. Als klar wurde, dass einige Talon-Agenten einzigartige Fähigkeiten oder Waffen erhalten würden – durchschlagende Nahkampfangriffe, Erklimmen von Wänden, Spinnenfaden –, ließ er seiner Fantasie freien Lauf.
Qiu beschreibt seine Aufgabe in dieser Phase damit, „visuelle Lösungen für Probleme des Gameplays zu finden.“ Er wollte sicherstellen, dass Spieler jeden Talon durch individuelle Outfits auf den ersten Blick erkennen können, ihre Zusammengehörigkeit aber trotzdem klar sichtbar ist. Eine Talon-Einheit, die Qiu angesichts ihrer Rolle im Spiel „Schildtyp“ nennt, scheint alles zu bieten: schwere Rüstung mit einem projizierten Schild und einer Strahlenwaffe. Ein Miniheld.
So großartig dieses Konzept auch war, hatte das Team Probleme, das Design abzurunden – es war zu abstrakt, da eine klare Rolle wie „Scharfschütze“ oder „Frontkämpfer“ fehlte. Trotz der Stärke und Vielseitigkeit dieser Einheit gab es viele Überschneidungen mit anderen Mitgliedern der Talon-Einsatztruppe. Was das Spieldesign angeht, wirkte der Strahl in Spieletests nicht ganz überzeugend und Schildtyps Silhouette war nicht leicht identifizierbar. Qiu machte ein paar Entwürfe, in denen er versuchte, das bisherige Gameplay beizubehalten.
Qiu und der Rest des Teams hatten auch andere Optionen im Blick. In Vergeltung ist Talon eine schnelle Einsatztruppe gegen Bedrohungen; würde ein Schild sie einfach nur verlangsamen, insbesondere, da sie auch sehr gut Deckung finden können? Sie haben den Schild entfernt und eine taktischere Version von Talon entstand in Rialto.
Volltreffer. Die endgültige Gruppe ist mobil, clever und gefährlich.
Concept Artists arbeiten nicht einfach an glanzvollen neuen Einheiten im Gesamtpaket – sie entwerfen sie in ihrer Fantasie und erschaffen sie dann in Einzelheiten. Um zum Beispiel die futuristischen Waffen von Null Sector und von Helden zu kreieren, studiert Daryl die Entwürfe vieler aktueller Waffen der echten Welt und verfolgt die technologische Entwicklung. „Wenn Waffendesigner an einem ergonomischeren oder zuverlässigeren Design arbeiten, ändern sie die ‚Standard-Anatomie‘ der Waffen und machen sie oft optisch überzeugender.“ Es ergibt also Sinn, dass die Waffentechnologie in der futuristischen Welt von Overwatch denselben Entwicklungsansatz durchläuft wie Waffensysteme der echten Welt – zum Beispiel werden sie automatisierter, sicherer oder werden sorgfältiger mit Munition versorgt. So entstehen ganz neue Formen und Einzelteile.
Bekannte Helden verändern
Die Vermittlung von Realismus und Glaubwürdigkeit ist ebenso zentral, wenn Charaktere verändert werden, die Spieler bereits kennen.
Wenn Concept Artists an Skins arbeiten, basieren ihre Ideen auf vertrauten Komponenten – Qiu nimmt Objekte mit Wiedererkennungswert und vermischt sie dann mit Elementen der futuristischen Ästhetik von Overwatch, wie mechanische Gelenke oder LED-Lichter. „Im Endergebnis landen große Elemente eher im oberen Teil von Charakteren, damit sie aus großer Entfernung sichtbar sind – erst wenn man näher kommt, sieht man alle Details.“
Vertraute visuelle Elemente neu zu verbinden birgt offensichtlich Herausforderungen. Overwatch-Skins sollten die Silhouette eines Charakters nicht radikal verändern – sonst erkennt man ja nicht, wem man gegenübertritt! Und für manche Skins gibt es auch Einschränkungen bei der Animation. Die Bewegung von Charakteren wie Pharah oder Reinhardt wird von den mechanischen Gelenken ihrer Rüstung beeinflusst. Wenn dies bei einem Skin nicht berücksichtigt würde, müsste das gesamte Verhalten des Charakters überarbeitet werden, nicht nur das Aussehen. Die Spieler hätten Probleme, den Charakter zu erkennen.
Diese technischen Einschränkungen führen oft zu albernen Ideen, wenn Künstler futuristische Ästhetik, einprägsame Symbolik und Erkennbarkeit des Gameplays vermischen. Qius Lieblingsbeispiel? Der Skin „Honigmelone“ für Mei.
Das ganze Konzept ist ziemlich albern: Im Zuge von Overwatchs Jubiläumsevent 2019 wurde Meis Outfit nach Vorbild einer Kellnerin in einem Boba-Laden umgestaltet und ihr Endothermischer Strahler wurde so geändert, dass er Bubble Tea verschießt. Doch alles wurde mit einem Auge fürs Detail entworfen, das laut Qiu den Unterschied ausmacht. „Es wäre sehr einfach, diesen Skin wie ein schlechtes Halloweenkostüm aussehen zu lassen – ein Haufen zusammengewürfelter Einzelteile statt einer Kreation in der Welt von Overwatch.“
Doch der Honigmelone-Skin behält Meis Silhouette bei, selbst ohne ihre winterfeste Ausrüstung. Ihr „Bubble Dew“-Strahler ist immer noch kampffähig, mit einem Schießmechanismus und einem Kanister, die wie bei einer Waffe funktionieren, und den ganzen wichtigen kleinen Details (kleine Boba-Kugeln, ein überdimensionierter Strohhalm, ein vakuumversiegelter Deckel, das „Bubble Dew“-Logo), die uns an die echte Welt erinnern, während wir eiskaltes Tapioka verschießen. Diese Details, so Qiu, verankern diesen abgehobenen Skin in der Realität. „Man kann den Boba-Becher gut erkennen, doch er ist in eine Science-Fiction-Waffe integriert.“
Zusammenarbeit
Neben der Illustration von Waffen, Skins und Helden ist jeder Concept Artists des Overwatch-Teams für die Gesamtästhetik des Spiels verantwortlich. Diese Verantwortung kann einen fordern, doch Daryl und Qiu sind sich einig, dass sie kreativen Freiraum haben, obwohl sie sich an einem etablierten Stil orientieren. Qiu beschreibt dies als „glückliche Ehe“ zwischen realistischer und stilisierter Darstellung.
Für Daryl liegt ein großer Reiz von Overwatch in der leuchtenden Farbpalette und dem Einsatz von Formen – vertraute und grundlegende Formen wie Quadrate und Kreise erzeugen vertraute Gefühle und Ideen (wie „Robustheit“ bei Quadraten oder „Harmlosigkeit“ bei Kreisen, da diese keine scharfen Kanten haben).
Concept Artists benötigen Programmierer, Animatoren und technische Künstler, die ihre wildesten Ideen umsetzen, und Designer sind auf großartige Konzeptkunst angewiesen, um das Gameplay so kommunikativ und spaßig wie möglich zu gestalten. Daryl und Qiu geben zu, dass Künstler den Druck spüren können, allen anderen dabei zu helfen, ihre besten Ideen umzusetzen. Doch dieser Druck hat ihnen auch dabei geholfen, Dinge zu kreieren, von denen sie wirklich begeistert sind.
„Ich mochte schon immer abstrakte Science-Fiction-Ideen, die man zum großen Teil als 2D-Künstler nicht alleine darstellen kann“, sagt Qiu. „Bei der Gestaltung von Sigma habe ich wirklich zu schätzen gelernt, mit einem professionellen Team an einer gemeinsamen Vision zu arbeiten. Wir konnten tiefgründige Science-Fiction-Konzepte erkunden [wie Kinetik und Kontrolle über die Schwerkraft], indem wir Animationen, Geräusche, visuelle Effekte und sogar das Gameplay genutzt haben.“
Daryl erinnert sich daran, wie beeindruckt er vom Talent seiner Kollegen war, als sie einen Skin entwickelt haben, der von Anas Zeit beim ägyptischen Militär inspiriert war. „Wir hatten einige Unterhaltungen über die Umsetzung des Tarnanzug-Materials ihres Mantels, aber sie hatten so etwas schon gemacht und kannten sich gut damit aus. Wenn ich ein Konzept einreiche [bei einem anderen Künstler], schauen wir uns normalerweise den Fortschritt des Modells gemeinsam an und nehmen uns die Zeit, über Ausbesserungen nachzudenken. Aber Scharfschützin Ana entstand so reibungslos, dass ich nicht einmal das animierte Modell gesehen habe, bis der Trailer veröffentlicht wurde!“
Das Tarnnetz auf Anas Mantel passte ausgezeichnet zu ihrer Silhouette; die Kapuze ihres Tarnanzugs hat ihre subtilen Rundungen nicht verloren, als sie in 3D umgesetzt wurde. „[Senior Technical Artist] Marcus Krautwurst, der für das Rigging des Modells verantwortlich war, sah meinen Entwurf und wusste genau, wie er damit arbeiten musste, um störendes Überlappen der Materialien der Tarnkleidung zu vermeiden. Er hat phänomenale Arbeit geleistet.“
Die COVID-19-Pandemie hat die Art der Zusammenarbeit bei den Künstlern des Overwatch-Teams auf jeden Fall verändert. Bevor wir im März angefangen haben, von zu Hause aus zu arbeiten, ist jeder zum Schreibtisch eines Teamkollegen gegangen oder hat Leute zu seinem Bildschirm gerufen, wenn er ein Modell zeigen oder eine Frage stellen wollte. Jetzt, da wir auf Chats und digitale Konferenzen angewiesen sind, finden alle, dass die Zwanglosigkeit und, wie Qiu es nennt, „Kindsköpfigkeit“ des Teams ihnen Halt gibt.
„Für mich kommt der Spaß meist an erster Stelle. In der Schule und bei mir zu Hause wurde ich nicht gerade zu dieser Einstellung ermutigt. Es hieß immer, ich würde da schon noch rauswachsen“, bemerkt er. „Doch egal wie nerdig deine Interessen sind, im Overwatch-Team gibt es immer Leute, mit denen du dich austauschen kannst. Wir machen gerne Kaffee, fahren Mountainbike, tauchen, schauen Anime, interessieren uns für 3D-Drucker, Autos, Basketball, Karaoke, Kampfspiele, Schach … und das betrifft nur die 15 Leute aus meinem alten Büro. Im Team fühlt man sich sofort wie in einer Familie: Ja, alle sind Profis mit jahrelanger Erfahrung, doch es sind auch einfach große Kinder, die Spaß haben wollen.“
Trotz der weitreichenden Erfahrung des Teams, wurde Qiu von Anfang an unterstützt, selbst als neuerer Künstler. „Als ich zu Overwatch stieß, war ich kurz davor, die Kunsthochschule abzuschließen und fühlte mich überfordert. Das Team gab mir die Möglichkeit, an einem Traumprojekt zu arbeiten und brachte mir alles bei, was ich heute weiß. Overwatch ist nicht nur meine Arbeit, sondern auch irgendwie der Ort, an dem ich aufgewachsen bin.“
„Neben großartigen Entwicklern“, sagt Daryl über das Overwatch-Team, „sind das auch wunderbare Menschen.“